Der „röhrende Hirsch“ ist weit mehr als nur ein Synonym für Kitsch; er ist ein faszinierendes Stück deutscher Kulturgeschichte, das Generationen geprägt hat. In diesem Artikel beleuchte ich seine Herkunft, seine tiefere symbolische Bedeutung und gebe Ihnen praktische Hinweise, wie Sie den potenziellen Wert eines solchen Gemäldes einschätzen können.
Der röhrende Hirsch ist mehr als Kitsch das Wichtigste zur Kulturgeschichte
- Ursprung: Das Motiv entstammt der Jagd- und Wildmalerei des 19. Jahrhunderts, populär gemacht durch Künstler wie Carl Friedrich Deiker.
- Verbreitung: Durch Farbdrucke wurde das Bild ab ca. 1870 zur Massenware und zum Symbol des spießbürgerlichen Wohnzimmers.
- Symbolik: Der Hirsch steht für Stärke, Männlichkeit und eine romantisierte, unberührte Natur der „König des Waldes“.
- Wert: Während Original-Ölgemälde bekannter Maler mehrere tausend Euro wert sein können, sind die meisten Bilder wertlose Massendrucke.

Vom Jagdmotiv zum Wohnzimmer-Klassiker: Die Geschichte des röhrenden Hirsches
Das Motiv des röhrenden Hirsches hat seinen Ursprung in der Jagdmalerei des 19. Jahrhunderts, einer Zeit, in der die Romantisierung der Natur und der Jagd in der Kunst aufblühte. Künstler wie Carl Friedrich Deiker und Ludwig Skell waren frühe und prägende Vertreter dieses Genres, die den Hirsch in seiner majestätischen Pose auf Leinwand bannten. Doch die wahre Massenverbreitung und damit der Aufstieg zum „Wohnzimmer-Klassiker“ begann um 1870 mit der Erfindung des Farbdrucks. Plötzlich war es möglich, diese Bilder kostengünstig zu reproduzieren und einer breiten Bevölkerungsschicht zugänglich zu machen. So fand der röhrende Hirsch seinen Weg in unzählige bürgerliche und später auch nachkriegsdeutsche Wohnzimmer, wo er als Symbol für Naturverbundenheit, Heimatliebe und einen gewissen Wohlstand stand.
Ist das Kunst oder kann das weg? Die Debatte um den röhrenden Hirsch
Die Frage, ob der röhrende Hirsch Kunst oder Kitsch ist, begleitet das Motiv seit seiner massenhaften Verbreitung. Oft gilt er als Inbegriff von Kitsch, und das nicht ohne Grund. Kitsch zeichnet sich durch eine sentimentale Überhöhung, eine anspruchslose Ästhetik und die Bedienung einfacher Emotionen aus. Der röhrende Hirsch, meist vor einer dramatischen Bergkulisse oder einem Sonnenuntergang dargestellt, erfüllt diese Kriterien perfekt. Er spricht eine breite Masse an, ohne intellektuelle Herausforderung, und vermittelt ein idealisiertes, oft verklärtes Bild von Natur und Männlichkeit. Für viele wurde er so zum Symbol des Spießbürgertums, des Biederen und des Geschmacklosen, ein Bild, das man belächelt oder gar verachtet.
Was der König des Waldes wirklich bedeutet
Ungeachtet der Kitsch-Debatte trägt das Hirsch-Motiv eine tiefe und vielfältige Symbolik in sich, die es über Jahrhunderte hinweg bedeutsam gemacht hat:
- Männlichkeit und Stärke: Der Hirsch, insbesondere der Rothirsch, ist ein Sinnbild für unbändige Kraft, Dominanz und männliche Vitalität. Sein imposantes Geweih, das jedes Jahr neu wächst, symbolisiert diese Stärke und Regeneration.
- Vitalität und Lebenskraft: Das Geweih, das abgeworfen und erneuert wird, steht auch für den Kreislauf des Lebens, für Wachstum und die Fähigkeit zur Erneuerung.
- Sehnsucht nach unberührter Natur: Der Hirsch in seiner natürlichen Umgebung verkörpert die wilde, unberührte Natur und die Sehnsucht des Menschen nach Ursprünglichkeit und Freiheit abseits der Zivilisation.
- „König des Waldes“: In vielen Kulturen und Erzählungen wird der Hirsch als der majestätische Herrscher des Waldes betrachtet, ein edles und gütiges Tier, das Respekt und Ehrfurcht einflößt.
Das Röhren in der Brunft: Ein Naturschauspiel auf Leinwand gebannt
Das namensgebende „Röhren“ des Hirsches ist ein zentrales Element des Motivs und verweist auf die Brunftzeit, ein eindrucksvolles Naturschauspiel im Herbst. Während dieser Zeit kämpfen die Hirsche um die Gunst der Hirschkühe, und ihr lautes, dröhnendes Röhren dient dazu, Rivalen abzuschrecken und die eigene Dominanz zu demonstrieren. Auf der Leinwand gebannt, symbolisiert dieses Röhren nicht nur die rohe Kraft und Männlichkeit des Tieres, sondern auch die wilde, ungezähmte Schönheit der Natur. Es ist die romantisierte Darstellung eines urzeitlichen Rituals, das die Kraft und Erhabenheit des Hirsches in den Vordergrund rückt.
Wie Sie den Wert Ihres Hirsch-Gemäldes ermitteln
Wenn Sie ein Gemälde mit dem röhrenden Hirsch besitzen, stellt sich natürlich die Frage nach seinem Wert. Die entscheidende Unterscheidung liegt zwischen einem potenziell wertvollen Original und einem meist wertlosen Massendruck. Hier ist eine praktische Anleitung, wie Sie vorgehen können:
| Merkmal | Original (Ölgemälde) | Druck (Massenware) |
|---|---|---|
| Oberflächenstruktur | Fühlbare Pinselstriche, unregelmäßiger Farbauftrag, oft leichte Erhebungen und Vertiefungen. Die Oberfläche ist nicht glatt. | Glatte, ebene Oberfläche. Bei genauer Betrachtung (Lupe) sind oft Rasterpunkte oder ein feines Druckmuster erkennbar. |
| Material | Meist auf Leinwand (Leinen oder Baumwolle) gemalt, die auf einen Holzrahmen gespannt ist. Manchmal auch auf Holztafel. | Oft auf Karton, Pappe oder minderwertiger Leinwandimitat gedruckt. Die Leinwand ist dann meist nur eine Textur, kein echter Malgrund. |
| Farbauftrag | Die Farben wirken lebendig, haben Tiefe und können in Schichten aufgetragen sein. Manchmal erkennt man Farbspritzer oder Unregelmäßigkeiten. | Die Farben wirken flach, gleichmäßig und oft weniger nuanciert. Es fehlt die Lebendigkeit eines handgemalten Bildes. |
| Rückseite | Oft Stempel, alte Etiketten von Galerien oder Rahmenbauern, handschriftliche Vermerke oder Signaturen. Die Leinwand ist rückseitig sichtbar. | Meist blanko, oder mit einem einfachen Aufkleber des Herstellers versehen. Die Rückseite ist oft mit Pappe verdeckt. |
Worauf Sie bei Signatur, Alter und Zustand achten müssen
Haben Sie den Verdacht, ein Original zu besitzen, sind weitere Faktoren für die Wertermittlung entscheidend:
- Die Signatur: Suchen Sie nach einer Signatur des Künstlers. Namen wie Carl Friedrich Deiker sind hier Gold wert. Eine klare, lesbare Signatur kann den Wert erheblich steigern. Ist die Signatur unleserlich, kann ein Kunstexperte helfen, sie zu identifizieren.
- Das Alter des Bildes: Ältere Originale aus dem 19. Jahrhundert sind in der Regel wertvoller als spätere Reproduktionen oder Kopien. Manchmal finden sich auf der Rückseite Datierungen oder Hinweise auf das Entstehungsjahr.
- Zustand von Bild und Rahmen: Ein guter Erhaltungszustand ist essenziell. Risse in der Leinwand, Farbabplatzer, starke Verschmutzungen oder Beschädigungen am Rahmen mindern den Wert erheblich. Ein originaler, gut erhaltener Rahmen aus der Entstehungszeit kann den Wert hingegen steigern.
- Provenienz: Wenn Sie die Herkunft des Bildes nachvollziehen können (z.B. durch alte Kaufbelege oder Erbschaftsdokumente), kann dies ebenfalls den Wert beeinflussen und die Authentizität untermauern.
Wenn Sie unsicher sind, empfehle ich stets, einen erfahrenen Gutachter oder Kunsthändler zu konsultieren. Er kann Ihnen eine fundierte Einschätzung geben.

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Der Hirsch im 21. Jahrhundert: Zwischen Ironie und Kult
Nachdem der röhrende Hirsch lange Zeit als Inbegriff des schlechten Geschmacks galt, erlebt er im 21. Jahrhundert eine faszinierende Wiederentdeckung. Heute wird er oft als ironisches Statement in der Wohnungseinrichtung verwendet, um bewusst mit Klischees zu spielen und eine Prise Retro-Charme zu versprühen. In der Popkultur taucht er als Kult-Element auf, sei es auf T-Shirts, Tassen oder in Memes, die seine frühere Ernsthaftigkeit humorvoll untergraben. Auch zeitgenössische Künstler haben das Motiv für sich entdeckt. Nina Hasselluhn beispielsweise interpretiert den Hirsch in ihren Werken neu, löst ihn aus seinem traditionellen Kontext und integriert ihn in moderne Installationen oder digitale Kunst. Diese neue Wertschätzung zeigt, dass der röhrende Hirsch, ob als Kunst, Kitsch oder Kultobjekt, ein unverwüstlicher Teil unserer kulturellen Landschaft bleibt.